Schwäche als Stärke verkaufen? Eine absurde Argumentation

René Lichtsteiner (früherer Personalchef von ABB und Leiter des Organisationskommitees des HR-Swiss-Kongress) in einem Interview mit der Personalfachzeitschrift Persorama:

Persorama: Herr Lichtsteiner, treffen Sie gerne Entscheidungen?
Lichtsteiner: Ja, und zwar tendenziell zu schnell und zu wenig überlegt. Das hat Vorteile. So sehe ich rasch die Konsequenzen und kann korrigierend eingreifen […]

Sagt der Raser (Anfang 20, geleaster und aufgemotzter BMW, innerorts mit mind. 100 km/h unterwegs): „Ich fahre tendenziell zu schnell und zu wenig überlegt. Das hat Vorteile. So fahre ich schneller ein Kind über den Haufen und die Ärzte können schneller lebensrettende Massnahmen eingreifen.“

Ich bin mir nicht sicher, welche der beiden Argumentationen absurder ist …

9 Kommentare zu „Schwäche als Stärke verkaufen? Eine absurde Argumentation

  1. Die Argumentation ist tatsächlich ein wenig absurd. Man kann das aber (mit ein wenig gutem Willen) auch anders verstehen. Nämlich das Herr Lichtsteiner nicht ewig über Ideen brütet und diskutiert sondern sie Ausprobiert. Das mag im grossen fatal sein, im kleinen kann diese Variante (meiner Meinung nach) aber effizient und kostensparend sein. Gewisse Lösungen (und vorallem Probleme) können nur durch ausprobieren gefunden werden, langes diskutieren hilft teilweise nicht.

  2. Natürlich – alles hat seine guten und seine schlechten Seiten.

    Nichtsdestotrotz hat mir in der Aussage Lichtsteiners gestört, dass da nichts aus dem Topf „kompetenter Umgang mit eigenen Inkompetenzen“ zu lesen war. Viel authentischer hätte z.B. sein können: „Ich entscheide eher zu schnell und zu wenig überlegt. Ich bin mir dessen bewusst und habe gelernt, wie ich damit umgehen muss, um in der Folge nicht fahrlässig Fehlentscheide zu treffen.“ Klingt doch schon ganz anders.

    Ich stehe dazu: Ich habe meine liebe Mühe mit Menschen, die aufgrund ihrer Allmachtsfantasien und ihrer Ich-habe-alles-im-Griff-Manier die Bodenhaftung verlieren. Dieses Kompetenz-Verständnis spiegelt sich dann in 99% der Fälle in der (unrealistischen) Erwartungshaltung gegenüber deren Mitarbeitern wider.

  3. Ist es nicht so, dass jede Schwäche ohnehin eine übertriebene Stärke darstellt? Rasche Entscheidungsfähigkeit ist eine Stärke. Hat man zuviel davon, ist das eine Schwäche.

  4. Scheint so. Sehe die Seite aber heute genau so zum ersten Mal wie ich auch den Ausdruck „Wertequadrate“ und den Namen noch nie gehört habe. :-)

    Irgendwoher wird ja wohl auch der Ausruck „Des Guten zu viel!“ kommen.

  5. Herr Lichtsteiner, treffen Sie gerne Entscheidungen? Auf diese Frage antwortet er mit ja. Entscheidungen treffen, ohne in den bekannten „wilden Aktionismus“ zu fallen, ist eine individuelle Gradwanderung.
    Das Verhalten des Autofahrers ist für mich ohne jeden Abstrich nur Menschenverachtend zynisch.
    Fazit: Die Handlungskompetenz der einzelnen Menschen ist individuell !

  6. Ich denke, das Herr Lichtsteiner einfach nicht weiß, was entscheiden bedeutet. Wenn ich bereits mit Alternativen konfrontiert bin kann jeder Depp eine davon wählen und schauen was passiert :-o
    Entscheiden beginnt viel früher. Nämlich da, wo zu klären ist, was der eigene Bedarf ist, also eine Entscheidungsklarheit zu erlangen.

    Danach gilt es attraktive Alternativen zu schaffen. Schlechte Alternativen bieten sich immer von selbst an, gute muss der Entscheider selbst schaffen.

    Damit ist es allerdings auch nicht getan. Denn jede Entscheidung muss am Ende umgesetzt werden. Wer dies ohne Berücksichtigung der Betroffenen macht – nun ja der hat wahrscheinlich viel Spaß mit seiner Umwelt :-)

    Was Herr Lichtsteiner anspricht, ist die Unsicherheit über die Zukunft, die jeder Entscheider tragen muss. Bei einigen führt das in der Tat dazu, dass wichtige Entscheidungen verschleppt werden. Meiner Meinung ist die „unüberlegte“ Handlungsweise gegenüber dem „überlegten“ Entscheider noch mal in der angesprochenen Weise im Vorteil.

    Wenn Herr Lichtsteiner sich im Wald verläuft, dann wird er einfach in jede Richtung 10 Km gehen, immer vorausgesetzt, er schafft das. Sein überlegter Gegenpart nimmt GPS und Karte zur Hand und… Na ja, Sie wissen schon… :-)

  7. Tja, man sollte nie zu schnell tippen. Es soll natürlich heißen: „Meiner Meinung nach ist die „unüberlegte Handlungsweise gegenüber dem „überlegten“ Entscheider nicht einmal in der angesprochenen Weise im Vorteil.“
    ;-)

  8. Interessant an dem Zitat von Herrn Lichtsteiner ist die Frage, auf welcher Basis er „korrigierend eingreift“. Wieder zu schnell und zu unüberlegt? Wo führt das dann hin?

    Dem Thema „Komplexität und Entscheidungsfindung“ widmete sich übrigens die Januar-Ausgabe des Magazins „brand eins“. Darin findet sich unter anderem ein interessantes Interview mit dem Psychologen und Autor Dietrich Dörner. Der Titel: „Einfach mehr durchwursteln“. Sehr empfehlenswert!

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